Egoismus hat keinen guten Ruf. Der Autor Erik Flügge versucht ihn zu rehabilitieren und zu bändigen – damit wir Egoisten bleiben dürfen, zum Wohle Aller.
„Die Leute werden immer egoistischer,“ ist ein gängiges Gefühl in Deutschland. Das zeigen auch Umfragen. Dabei ist das Streben nach Eigennutz ein Teil des menschlichen Wesens, das man nicht wegerziehen kann. Auch moralische Appelle nützen wenig. Viel besser sei es, schreibt Erik Flügge, den Egoismus so einzuhegen, dass er mehr Menschen nützt: Mit einer klugen Ordnung.
Beispiel: Gewerkschaften
Es ist zum Beispiel ein Problem in vielen Branchen, dass zu wenig Menschen Mitglied in ihrer Gewerkschaft sind. Dort, wo viele Menschen in der Gewerkschaft sind, wird besser bezahlt, kürzer und unter besseren Umständen gearbeitet.
Doch kann die Gewerkschaft nur etwas erreichen, wenn sie genügend Menschen in einer Branche vertritt. Die Mitgliedschaft kostet aber 1% vom Brutto. Die kann man zwar über die Steuer wieder zurück bekommen, aber erst einmal ist das Geld weg. Wenn man eines der ersten Mitglieder ist, wird man lange Zeit noch nichts davon haben, dass man diesen Beitrag bezahlt. Dadurch will keiner der Erste sein. Das sind nur Leute, die sich tatsächlich von dem moralischen Appell überzeugen lassen. Alle anderen handeln egoistisch.
Erik Flügge schlägt vor, das Problem dadurch zu lösen, dass einfach alle Unternehmen verpflichtet werden 1% der Bruttolohnsumme an die Gewerkschaft zu zahlen. Dann wären automatische alle Mitglied und das fröhliche Verhandeln könnte losgehen.
Beispiel: Einkaufen
Wer nachhaltig einkaufen will steht vor einem Berg von Anforderungen: Die Menschen sollen nicht ausgebeutet werden, die Umwelt soll geschont werden und bezahlbar muss es auch noch sein. Für jedes einzelne Produkt müsste ich mich informieren und mich immer auf dem aktuellen Stand halten. Die Wirtschaftswissenschaft meint, dass das ginge – wir seien alle „Homines oeconomici“. Wir träfen unsere Entscheidungen rein rational.
Faktisch sind wir gut meinende Faulpelze, die nicht das billigste Produkt kaufen, in der Hoffnung, dass das besser ist für irgendwas. Wenn wir uns das denn leisten können.
Erik Flügge meint, dass es einfacher werden muss, nachhaltig einzukaufen. Er schlägt vor, dass nicht nachhaltige Produkte einfach nicht mehr erhältlich sind. Wenn ein neues Produkt auf den Markt kommt, das nachhaltiger ist als die alten, dürfen die alten noch für eine Übergangszeit verkauft werden und dann werden sie verboten. So könnte sich die Menschen auf den Preis konzentrieren und ihrem Egoismus folgen, ohne zerstörerisch zu sein.
Egoismus als Oberbegriff
An den Beispielen aus allen möglichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ist immer etwas Wahres. Und natürlich habe auch ich den Eindruck, dass es immer mehr gegeneinander als miteinander geht.
90,7 % der Befragten haben in einer Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung der Aussage zugestimmt, „in unserer Gesellschaft zählt Egoismus mehr als Zusammenhalt.“ Da hat man zwei sehr unterschiedliche Begriffe gegenüber gestellt. „Egoismus“ ist wie die meisten „-ismen“ ohnehin negativ besetzt. Wer sollte etwas gegen „Zusammenhalt“ haben?
Was aber, wenn wir die Begriffe leicht ändern: „In unserer Gesellschaft zählt Individualität mehr als Konformität.“ Vielleicht würden dem auch 90,7 % zustimmen. Oder „In unserer Gesellschaft zählt Faulheit mehr als Fleiß.“
Erik Flügge fasst eine Vielzahl Verhaltensweisen unter dem Begriff „Egoismus“ zusammen und versucht zu zeigen, wie wir durch zum Teil kleine Umorganisationen es erreichen könnten, dass es für alle einfacher wird, individuell, egoistisch und faul zu sein – so wie wir Menschen nun einmal auch sind.
„Egoismus“ ist im Dietz-Verlag erschienen, hat 112 Seiten und kostet 10 Euro – es sei denn, Du gehst in die Stadtbücherei und leihst es Dir. Da kauft es die Gemeinschaft und viele Leute können es kostenlos lesen. Richtig, Erik Flügge?
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