Vor ein paar Wochen war der Zoom praktisch unbekannt. Inzwischen ist der Videokonferenz-Dienst quasi zum Standard geworden – und umstritten. Zu Recht?
Ich selbst hatte Zoom auch noch nicht benutzt – doch als wir alle uns nicht mehr treffen durften, musste schnell eine Lösung her, mit der wir im Gespräch bleiben konnten. Eine Blitz-Marktanalyse hat für mich ergeben, dass Zoom offenbar einen ganz guten Ruf hat, wenn es um Nutzerfreundlichkeit geht. Zusätzlich ist es kein Dienst von einem der Unternehmen, die vor allem vom Datensammeln leben – man muss für den Account bezahlen und bekommt dafür die Leistung.
Open-Source Alternativen: Teuer & unzuverlässig. Bisher.
Klar wäre mir eine Open-Source-Lösung lieber gewesen und ich habe sie getestet: Nextcloud-Talk ist aber schon mit 3 Nutzern überfordert, wenn man nicht den kommerziellen Dienst bucht. Der kostet 80€ pro Benutzer – mindestens 4000€ im Jahr. Für einen schnellen Umstieg ist das wirklich abschreckend. Nextcloud hat versprochen, ein Angebot zu erarbeiten, dass sich auch kleinere Kunden leisten können. Bisher ist das nicht passiert.
Jitsi ist eine weitere wunderbare, unkomplizierte Lösung, die ich schon seit Jahren bei Workshops empfehle. Die größte Stärke ist, dass die Videokonferenz komplett im Browser funktioniert. Allerdings ist das auch die größte Schwäche, denn bisher funktioniert das wirklich reibungslos nur im Chrome-Browser. Den Google-Browser wiederum will ich niemandem empfehlen. Mit Firefox Version 76 soll das zukünftig auch gut funktionieren. Aber das hat mir bisher nicht geholfen.
Erst einmal muss es funktionieren
Man kann Videokonferenzen in Jitsi machen. Keine Frage. Aber nicht als erstes. Jitsi kann man mit erfahrenen Leuten einsetzen. Leute, die schon wissen, wie Videokonferenzen ablaufen und was die Stolpersteine auf dem Weg sein können.
In der ersten Phase des Corona-Shutdowns ging es aber darum erst einmal große Teile der Menschen an Videokonferenzen heranzuführen. Dazu brauchte ich eine Lösung, die funktioniert. Das war Zoom.
Man schickt den Leuten einen Link, die klicken drauf, laden sich den Client runter, installieren den, starten ihn und schon geht es. 90% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in meinen Videokonferenzen haben das sofort hinbekommen. Für die anderen gibt es die Telefoneinwahl. Die Telefoneinwahl ist ein großartiges Backup. Wenn es jemand gar nicht hinbekommt, kann man dem immer noch sagen: „Komm, nimm das Telefon. Ruf hier an. Dann kriegste auch alles mit.“
Dann kamen die Einwände
Mit steigende Beliebtheit von Zoom, wuchs auch die Zahl von Artikeln, die sich kritisch mit der Plattform auseinander setzten. Das ist grundsätzlich zu begrüßen, weil es auch mir hilft, so einen Dienst einzuschätzen. Aber was da veröffentlicht wurde, grenzte an Desinformation. Zumindest hat es eine Menge Leute verunsichert.
Kritisiert wurden Sicherheitslücken, die vor Jahren aufgetreten und mittlerweile gefixt sind. Kritisiert wurden Features, die standardmäßig gar nicht eingeschaltet sind. Kritisiert wurde die Einbindung von Tracking-Diensten auf der Website von Zoom.
Tatsächlich sind im Rahmen dieser genaueren Begutachtung einige Dinge bei Zoom aufgefallen, die wirklich kritikwürdig sind und die dann auch ziemlich schnell beseitigt wurde. Die App hatte zum Beispiel das Facebook-SDK genutzt, das fröhlich Nutzungsdaten sammelte. Dieses Problem wurde binnen Tagen beseitigt.
Auf mich machte Zoom den Eindruck einer jungen Firma, die erst einmal den besten Videokonferenz-Dienst auf die Beine stellen wollte und dabei einige Abkürzungen genommen hat. Ich finde aber, die schnellen Reaktionen auf die Kritik sind glaubwürdig. Und einige Kritik war echt absurd.
Ja, Zoom speichert Namen und E‑Mail-Adressen der Nutzer. Das sind deren Kundendaten. Damit loggen sich die Leute ein. Die Kunden können verschiedene Daten eingeben, die Zoom dann speichert. Wer zahlender Kunde ist, muss seine Zahlungsdaten angeben. Das ist vollkommen normal.
Wer eine neue Zoom-Konferenz plant, muss damit leben, dass die Zugangsdaten in der Datenbank stehen – sonst geht es nicht. Und so lange die Videokonferenz läuft, muss Zoom wissen, welche Clients in dieser Konferenz sind – sonst funktioniert die Konferenz nicht. Das ist auch bei Jitsi und Nextcloud-Talk nicht anders.
Wer seine Zoom-Konferenz von Zoom aufzeichnen lässt, muss damit rechnen, dass die Konferenz dann auf dem Server von Zoom liegt, bis man sie herunterlädt und online löscht.
Die Tracker, die auf zoom.us eingesetzt werden, werden nicht aufgerufen, wenn man einer Konferenz beitritt. Das sind die gleichen Tracker, die leider auf vielen Seiten eingesetzt werden, „um das Nutzererlebnis zu verbessern“ – auf jeder durchschnittlichen, deutschen Medien-Seite sind ein Vielfaches davon verbaut. Das soll das nicht entschuldigen – nur ins Verhältnis setzen.
Nachbesserung der Nutzungsbedingungen
Ein Teil der Verunsicherung hatte auch damit zu tun, dass die Nutzungsbedingungen nicht besonders gut formuliert waren und man da herauslesen konnte, dass alle Daten gesammelt und verkauft werden. Das wurde mittlerweile deutlich klargestellt.
Der Rechtsanwalt Stephan Hansen-Oest hat schon im März einen Artikel darüber geschrieben, dass Zoom datenschutz-konform betrieben werden kann und diesen Artikel seither fast täglich aktualisiert.
Die letzte verbliebene Kritik, die ich wahrgenommen haben, sagt: „Das ist doch ein Unternehmen aus den USA. Die machen doch eh mit den Daten, was sie wollen – egal, was die in die Nutzungsbedingungen schreiben.“
Man kann ja über den Datenschutz und die Unternehmen in den USA sagen, was man will, aber nicht, dass sie nicht offen damit sind, was sie mit unseren Daten vorhaben. Es ist ja nicht so, als schrieben Google, Microsoft, Facebook, Amazon und Apple nicht in ihre Nutzungsbedingungen, dass sie mit unseren Daten machen, was sie wollen.
Ich bin kein Anwalt, aber ich vermute, dass Zoom rechtliche Probleme bekäme, wenn sie in ihren Nutzungsbedingungen lügen würden – gerade in den USA, wo so etwas auch mal teuer werden kann.
Umsteigen geht immer noch
Ich habe die Hoffnung, dass Jitsi bald so unkompliziert funktioniert, wie es Zoom bisher tut. Dann werde ich nach und nach darauf umsteigen. Wichtig ist aber jetzt erst einmal, dass die Leute alle lernen, wie man sich in Videokonferenzen benimmt. Diese Kultur kann man dann auch mit anderer Software umsetzen. Jitsi bietet da vor allem den Vorteil, dass man keinen zentralen, bezahlten Account benötigt, der Videokonferenzen einlädt.
Bis dahin muss ich pragmatisch abwägen. Mir ist es wichtiger, dass sich Videokonferenzen etablieren, als das auch gleich mit der richtigen Software durchzusetzen.
Links
- Jitsi: Fragen & Antworten
- Datenschutz-Guru: Hilfe…ist „Zoom“ etwa eine Datenschleuder?
Schreibe einen Kommentar