Das Historische Museum in Stockholm ist etwas Besonderes. Es zeigt nicht nur, wie es früher war – zeigt vor allem auch, was die Wissenschaft nicht weiß und was das alles mit mir zu tun hat. Das habe ich so vorher noch nirgends so gesehen.
Wenn ich zum ersten Mal in einer neuen Stadt bin, geh ich gerne in das Stadtmuseum und lass mir erklären, wie die Stadt zu dem wurde, was sie heute ist. Das Stadtmuseum in Stockholm ist aber gerade geschlossen und so lag es nahe ins Historische Museum zu gehen.
Erstens: Es ist kostenlos! Die Schweden sind offenbar der Meinung, der Zugang zu Bildung und Kultur sollte nicht am Geld scheitern und bieten oft mindestens einen Tag freien Eintritt in vielen Museen an. Das Historische Museum ist komplett kostenlos.
Dann gibt es einen toll gemachten prähistorischen Teil, in aus dem Leben von mehreren Menschen erzählt wird, deren Überreste man gefunden hat. Das macht so ein Gerippe im Schaukasten doch etwas nahbarer. Gleichzeitig macht die Ausstellung aber auch deutlich, was man wirklich weiß, was Spekulation ist und wie es auch sonst gewesen sein könnte.
Es war das Video einer Frau in prähistorischer Kleidung, die sich eine der ausgestellten Broschen ansteckte, bei dem ich dachte: „Ja, so wie heute!“
Wenn wir es mit Geschichte zu tun haben, wirkt es oft so, als seien die Wikinger wilder gewesen – brutaler. Oder die Menschen im Mittelalter seien blind und dreckig der Religion nachgelaufen.
Menschen sind schon immer Menschen gewesen. Wenn auch tausende Jahre dazwischen liegen – Menschen haben immer noch Angst, lieben immer noch, hassen immer noch, kümmern sich um andere Menschen, um Kinder und Freunde. Nur das Wasserklo und das Internet unterscheiden uns von den Menschen früher.

Nach der Vorgeschichte geht es in einen Bereich, der aufgemacht ist wie ein Flughafenterminal. An den Gates stellt die Ausstellung Fragen. Was sammelt ein Museum und warum? Was nicht? Wie deutschen Wissenschaftlerinnen diese Gegenstände? Welche Ideen beeinflussen sie dabei? Eine Ausstellung über Museen und Wissenschaft.

In einem Raum werden auf der einen Seite historische Werkzeuge ausgestellt und auf der anderen aktuelle Küchengeräte, Bürsten und Zahnbürsten. Was könnte man eigentlich aus Grund dieser Gegenstände über unsere Zeit sagen? Auf was lässt eine grüne Plastikzahnbürste schließen? Welche Bedeutung hat ihre Farbe, ihre Form für uns? Oft vermutlich so gut wie gar keine.
Es wird gezeigt, wie Funde über Schweden verteilt sind und dass damit Steinäxte unterschiedlich aussehen könnten, weil sie aus verschiedenen Regionen kommen, oder aus verschiedenen Zeiten. Vielleicht liegt es nur an den ästhetischen Vorlieben der Handwerker.
Was finden wir alles nicht? Ein Jahrtausende alter gebackener Fladen wird dort gezeigt und viele leere Fächer. Denn viele Materialien vergehen einfach mit der Zeit.
Und dann spielt immer eine Rolle, was gerade gesellschaftlich gedacht wird, wenn diese Fundstücke eingeordnet werden. Ein Stein in einem Grab? Bei einer Männerleiche ein Zeichen von Macht, bei einer Frau ein Mahlstein. Sie hat sich um den Haushalt gekümmert – da schließt dann der Forscher von seiner Welt auf die frühere.
Die Ausstellung führt sehr gut vor Augen, wie auch unser Verständnis von Nationen, von Heimat, von unserem Land auf Geschichten über unsere gemeinsame Vergangenheit beruhen. Geschichten sind immer Interpretation – nie die reine und ganze Wahrheit.
So gibt sich die Ausstellung Mühe, auch den Einfluss der Samen, der Bevölkerung Lapplands einerseits in die schwedische Nationalgeschichte zu integrieren. Andererseits gibt sie den Samen aber auch den Raum für eigene Geschichte.
Es gibt einen Teil, der sich mit der Geschichte der Roma und anderer reisender Völker in Schweden beschäftigt. Es gibt einen Teil über die Juden in Schweden und man merkt, dass sich die Kuratorinnen Gedanken darüber gemacht haben, auch das wurden von Frauen darzustellen in den Periode, die meist von männlichen Königen geprägt waren.
Es gibt nicht nur den blonden, blauäugigen, männlichen, protestantischen Schweden, dessen Opa noch mit dem Drachenboot England überfallen hat – gab es noch nie. Wer in der Gegenwart der Ausstellung ankommt, lernt, dass die Essenz der Geschichte heute in Form von blau-gelben T‑Shirts und Plastik-Wikinger-Helmen heute für alle verfügbar sind. Wer will, kann für ein paar Euro zeigen, dass er oder sie dazu gehört.
Es gibt viele tolle Museen mit raren, interessanten Austellungsgegenständen. Oft kann man Sachen ausprobieren, anfassen und erfahren. Selten habe ich so viel für mich mitgenommen wie im Historischen Museum in Stockholm.
Links
- Website: Historiska Museet
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