Die Autogerechte Stadt Kiel stößt an seine Grenzen. Gemeinsam dem Umland hat Kiel jetzt einen Mobiltitäts-Masterplan vorgestellt. CarSharing soll Autos ersetzen, Radfahren soll schneller werden, Busse, Bahn und Fähren sollen attraktiver werden. Doch ein wichtiger Faktor scheint zu fehlen: Die Vermeidung von Verkehr.
„Verkehr ist das Ergebnis des Mobilitätsbedürfnisses des Menschen,“ hab ich im Studium mal gelernt. Das Mobilitätsbedürfnis auf andere Verkehrsträger zu verteilen ist ein Teil der Lösung des Auto-Problems.
Allerdings gilt auch im übertragenen Sinn „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.“ Zusätzliche Mobilitätsangebote werden auch zu mehr Verkehr führen. Die andere Seite der Lösung müsste also sein, am Mobilitätsbedürfnis anzusetzen.
Wer alles vor der Haustür hat, muss sich nicht ins Auto, in den Bus oder aufs Fahrrad setzen. Ein Zentralbad für Kiel bedeutet natürlich, dass Menschen sich durch die ganze Stadt bewegen müssen, wenn sie Schwimmen gehen wollen. Eine Postfiliale nach der anderen zu schließen bedeutet, dass Menschen sich durch die ganze Stadt bewegen müssen. Große Einkaufszentren auf der grünen Wiese zu bauen bedeutet, das sich Menschen durch die ganze Stadt bewegen müssen. So etwas wie der Wissenschaftspark ohne Wohnungen bedeutet, dass die Menschen zur Arbeit durch die ganze Stadt müssen.
Charta von Athen wirkt immer noch
Kern dieser Art Stadtplanung ist immer noch die Charta von Athen. Diese Charta war das Ergebnis eines internationalen Städtebaukongresses im Jahr 1933. Sie sah vor allem die räumliche Trennung der unterschiedlichen Funktionen in Städten vor. In der mittelalterlichen Stadt waren Wohnen und Arbeiten vereint. Im Ergeschoss war die Werkstadt – oben wohnte der Handwerker mit seiner Familie.
In der industriellen Revolution wurde das zum Problem: Stinkende Betriebe in den Hinterhöfen machte das Leben in der Stadt laut, dreckig und ungesund. Die Lösung: „Die funktionale Stadt“ – im einen Stadtteil sollte man leben, im anderen arbeiten. Hier gab es Büros – dort Einkaufsmöglichkeiten. Verbunden wurden die Stadtteile per Auto.
Sehen kann man das sehr schön in Kiel-Mettenhof. Die Großwohnsiedlung ist in den 1960ern geplant, als in Kiel 17.000 Wohneinheiten fehlten. Dort sollten die Menschen nur wohnen. Mit der Stadt verbunden ist Mettenhof mit dem Skandinaviendamm – einer breiten Straße, neben der man noch heute den Platz sehen kann, auf dem sie sogar noch verbreitert werden sollte. Lange Zeit gab es dort fast keine Einkaufsmöglichkeiten und schon gar keinen Arbeitsplätze. Alle Bewohner müssen immer pendeln.
Der Autoverkehr stößt mittlerweile an seine Grenzen und es findet ein Umdenken auch in der Bevölkerung statt. Trotzdem scheint diese Art von Stadtplanung noch immer zumindest grundsätzlich aktuell zu sein. Natürlich würde niemand noch einmal einen Stadtteil wie Mettenhof bauen und vielleicht sind es auch gar nicht nur die Stadtplaner, die dafür verantwortlich sind. Aber immer mehr Angebote werden an immer weniger Standorten zusammen gezogen.
In Kiel-Ravensberg gibt es noch eine Menge Angebote, die es möglich machen, dass man gar kein Auto braucht. Dort gibt es mehrere kleine Supermärkte, Apotheken, mit Köhnke&Lau einen Laden, in dem man auch mal die eine oder andere Schraube kaufen kann, ohne dass man ganz in den Baumarkt fahren muss. Bis vor Kurzem gab es noch eine Postfiliale. Es gibt ein Kino, ein Theater, einen Wochenmarkt und viele verschiedene Kneipen – schon einen Stadtteile weiter, wird es dünn.
Vielleicht hab ich noch nicht alles entdeckt, aber hier in der nördlichen Wik gibt es extrem wenig. Der „famila“-Markt deckt zwar eine Menge ab: Einkaufen, Post, Bank, Blumenladen, Bäcker usw. Er liegt aber am Ende des Stadtteils und lockt mit seiner Größe und dem riesigen Parkplatz eher noch Leute aus anderen Stadtteile an, die dort mit dem Auto einkaufen. Wir sind da auch immer mal extra hingefahren.
Es gibt hier vielleicht zwei oder drei Restaurants, ein Café, das am Wochenende geöffnet hat und eine Kneipe. Kein Kino, Kein Theater. Einen Buchladen gibt es, der Öffnungszeiten wie eine Behörde hat.
Natürlich ist das auch eine Entwicklung, die auf den Konsumentscheidungen und den Konsumbedürfnissen der Menschen beruht – deswegen schrieb ich, dass es nicht nur die Schuld der Stadtplanung ist. Die Leute wollen ja auch diese Einkaufsmöglichkeiten. Andere geraten dann ins Hintertreffen. Das Fernsehen hat den Kinos Konkurrenz gemacht – deswegen gibt es es nicht mehr in jedem Stadtteil ein Kino.
Die Menschen bestellen mehr im Internet – deswegen gibt es zum Beispiel weniger Buchläden. Online Einkaufen führt einerseits dazu, dass die Leute sich weniger bewegen müssen. Auf der anderen Seite führt es dazu, dass sich auf den Straßen die Lieferwagen von DHL, DPD, Hermes, UPS, GLS & Co. aufreihen und den Verkehr aufhalten, nur um Benachrichtigungskarten in Briefkästen zu schmeißen. Eine richtige Lösung gibt es dafür auch noch nicht. Es es führt dazu, dass sie weiter fahren müssen, wenn sie doch noch mal etwas in einem Geschäft kaufen wollen.
Ich hab keine Ahnung, wie sich das Verhältnis von Online und Offline in Zukunft einspielt. Bei Alexander Graf kann man immer wieder lesen, wie sehr der stationäre Handel ins Hintertreffen gerät. Im Bezug auf den Verkehr ist das eine wichtige Frage: Mehr Lieferverkehr? Mehr Fahrten zu Event-Shopping-Orten? Oder doch teilweise Versorgung in der Nachbarschaft?
Dass jetzt nur noch alle Netflix gucken, zu Hause sitzen und sich alles liefern lassen – das halte ich für unwahrscheinlich. Der Mensch ist auch ein soziales Wesen, das den direkten Kontakt mit anderen Menschen sucht. Neben der Arbeit und dem Zuhause gab es bisher immer noch den „Dritten Ort“, der die Kneipe war oder das Einkaufszentrum – wie viel Zeit hab ich in meiner Jugend in der Fußgängerzone verbracht?
Geld für Verkehr. Geld für Verkehrsvermeidung
Was ich damit sagen will: Wenn die Stadt viel Geld in die Hand nimmt, um den Verkehr neu zu sortieren, könnte sie auch Geld in die Hand nehmen, um Verkehr zu verhindern. Ein konkreter Beitrag der Stadt könnte sein, dass man Behördengänge in den Stadtteilen erledigen kann – wenn es denn auch weiterhin nicht möglich sein sollte, Behördengänge online zu machen. Sie könnte auch Nachbarschaftsläden fördern.
Vielleicht könnte man auch in diesem Zusammenhang mal mit den Umlandsgemeinden darüber sprechen, ob man tatsächlich noch mehr Einkaufsmöglichkeiten auf der grünen Wiese benötigt. Der Theodor-Heuss-Ring ist doch unter anderem auch so verstopft, weil es in Raisdorf diese ganzen riesigen Geschäfte gibt. Sicher kein einfaches Thema, weil die natürlich von der Gewerbesteuer profitieren. Statt aber die B76 weiter auszubauen und noch mehr Busse fahren zu lassen, könnte man Raisdorf vielleicht anders entschädigen.
Auf jeden Fall finde ich es spannend. 1986 hat die SPD Kiel festgestellt, dass der Ausbau des Straßennetzes in Kiel abgeschlossen sei. Stattdessen sollte es mehr Busse, mehr Radwege, mehr Fußgängerzonen und Statteilzentren geben. Sogar stadtweites „Tempo 30“ hatte man damals schon auf dem Zettel.
Nun ist es nicht ganz einfach eine Stadt umzubauen. Große Teile der Flächen gehören gar nicht der Stadt und sie kann nur mit der Stuktur arbeiten, die schon vorhanden ist und den Verkehrsraum nur neu verteilen und kaum neue Verkehrswege schaffen. Eine Menge Dinge wurden in den letzten 30 Jahren schon angepackt – allerdings ist das Verkehrsaufkommen viel stärker gewachsen. Mal sehen, was der Masterplan bringt.
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