„Welches Problem soll eigentlich ein neuer Staatsvertrag über den Jugendschutz im Internet lösen“, habe ich mich gefragt. Thomas Losse-Müller, Chef der Kieler Staatskanzlei, war beim BarCamp in Kiel und stellte sich der Diskussion.
Das Land plant offenbar so etwas wie eine eigene digitale Agenda. Zwei Themen, die Thomas Losse-Müller vorschlug waren der nächste Anlauf zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) und Torsten Albigs kürzlicher Aufschlag zu einer Diskussion über Meinungsvielfalt in Zeiten eines Quasi-Monopol von Google bei der Web-Suche.
Jugendschutz im Internet
Nur eine Minimallösung sei beim JMStV vorgesehen, erklärte Thomas Losse-Müller: Eltern könnten Filter-Software installieren. Und die Inhalte-Anbieter im Internet könnten dann ihre Inhalte digital mit einer Alterkennzeichnung versehen. Das sei für alle Seiten freiwillig. Freiwillig bedeutet für die Webseiten-Betreiber: Sie müssen nicht mitmachen, aber wenn sie es nicht tun, sind sie automatisch „Ab 18“.
In der Diskussion wurde das Internet immer wieder mit dem Fernsehen verglichen: Im Fernsehen gebe es Erotik erst am Abend – im Internet stünden harte Pornos rund um die Uhr zum Abruf. Auf Twitter schrieb Thomas Losse-Müller:
@kaffeeringe Es gibt keinen Unterschied zwischen Fernsehen und Internet. Medienkonvergenz rules. Warum unterschiedliche Regeln? #bcki15
— Thomas Losse-Mueller (@t_losse_mueller) 22. August 2015
Ich hoffe doch, dass das Internet sich noch vom Fernsehen unterscheidet: Im Fernsehen senden Konzerne die Inhalte von anderen Konzernen um dazwischen Reklame von Konzernen einzublenden, damit wir alle mehr kaufen. Über das Internet können Menschen direkt in ein Gespräch zu einander treten: Ich betreibe hier mein kleines Blog und freue mich über kluge Kommentare von Euch.
Fernsehen wird gesendet von wenigen, die es sich leisten können an viele. Einen Rückkanal gibt es nicht. Das Internet ist Hin- und Rückkanal. Alle, die im Internet sind, können zumindest potentiell alle erreichen.
Im Fernsehen gibt es eine begrenzte Zahl von Frequenzen für Kanäle. Im Internet gibt es beliebig viele Kanäle. Wenn ein Kind die Fernbedienung in die Hand bekommt, hat es in 2 Minuten durch alle Sender gezappt und wäre dann tatsächlich auf einem Porno-Kanal gelandet, wenn das nicht reguliert wäre.
Das Internet hat noch niemand durchgezapppt. Ja, im Internet kann man echt fiese Sachen finden. Aber wer tut das denn? Oder liegt es an meinem versierten Umgang mit der Technik, dass ich nicht aus Versehen auf Pornoseiten oder Köpfungs-Video-Seiten lande? Gibt es das Problem eigentlich, das der JMSTV lösen soll? Haben wir signifikant viele Kinder, die traumatisiert sind durch das, was sie zufällig im Internet sehen? Warum gibt es dieses Problem offenbar nur in Deutschland?
Oder anders: Wieso trinken Kinder nicht ständig aus den Alkoholflaschen, die die Erwachsenen im Haus haben? Warum stürzen sie nicht ständig mit den Küchenmessern auf einander ein? Warum rennen Kinder nicht ständig vor Autos? Weil Erwachsene aufpassen und nach und nach den Kindern beibringen, was akzeptiertes Verhalten ist und was nicht. Und gemeinsam mit den Schulen bekommen die Menschen das doch offenbar sogar jetzt schon ganz gut hin.
Für Eltern, die ihre vierjährigen Kinder unbegleitet im Internet surfen lassen, sollte nicht ein JMStV zuständig sein, sondern das Jugendamt. Das Internet ist eben nicht der Fernseher. Diese Eltern wären vermutlich auch nicht die, die freiwillig Kinderschutzfilter installieren würden.
Nun kann man natürlich sagen: „Lass die doch ihre freiwillige Lösung machen.“ Denn auf diese Art funktioniert das System schon jetzt: Die Filtersoftware gibt es. Und die Webseiten-Anbieter können ihre Seiten auch schon einstufen. Es macht nur niemand. Und wenn es jemand in Zukunft macht, dann sind es die gleichen Konzerne, die schon das Fernsehen dominieren. Das Kindernet besteht nur aus Seiten wie RTL2.de, barbie.com, coke.de und t‑online.de, die sich eine Rechtsabteilung für eine sichere Einschätzung leisten können. Das Blog mit den Drachenbau-Anleitungen eher nicht.
Google und Meinungsvielfalt
Und damit sind wir beim Thema „Google und Meinungsvielfalt“ – Thomas Losse-Müller hat den Vorschlag von Torsten Albig noch einmal zusammengefasst: Im Kern ging der Vorschlag davon aus, dass Google durch seinen hohen Marktanteil bei der klassischen Websuche von über 90% in Deutschland in einer ähnlichen Position ist, wie die Kabelfernsehen-Anbieter. Die seien verpflichtet ARD, ZDF & Co. privilegiert zu platzieren. Google sollte seine Suchergebnisseiten so verändern, dass auf dem ersten Platz jeweils ein Treffer eines öffentlich-rechtlichen Angebots landet. Bei denen stellten wir als Gesellschaft noch am ehesten sicher, dass es dort eine gewisse Qualität und Meinungsvielfalt gibt. Aus der Medienwelt habe es zu dem Vorschlag viel Applaus gegeben – aus dem Netz nur Häme.
Ich bin weit davon entfernt Google zu verteidigen. Das kann so ein Konzern schon selbst. Aber jede Suchmaschine sorgt dafür, dass Menschen ihre Vorurteile bestätigt bekommen. Suchmaschinen zeigen ihren Nutzern nun einmal das an, was die Nutzer gesucht haben. Wenn ich im Buchladen nach einem Buch von Thilo Sarrazin frage, muss mir der Verkäufer auch nicht erst ein gutes Buch anbieten. Es ist eine Frage der Bildung, ob Menschen schlechte Informationen erkennen oder nicht.
Nutzer, die sich für Chemtrails interessieren, finden auch Lügenpresse interessant
Warum werden Menschen anfällig für schlechte Informationen, einfache Erklärungen und Verschwörungen? Ich verkürze das jetzt mal: Weil sie sich abgehängt und ausgestoßen fühlen. Weil sie nach einem Sinn suchen. Weil sie nach gängiger Definition die Überflüssigen sind. So kommen manche auf die Idee, sich eine Definition zu suchen, die sie wichtig macht oder die erklärt, wer Schuld an ihrer Lage sei soll.
Der Vorschlag für privilegierte Plätze für ARD und ZDF in Google-Suchergebnisseiten wird schlicht kein Problem lösen. Es wird das Leben dieser Menschen nicht besser machen. Es wird sie nicht davon abhalten, sich über alternative Weltsichten zu informieren. Es wird vor allem nicht den Marktanteil von Google verkleinern.
Die Befürchtung: Das ist nur der Anfang
Nun tut diese vollkommen freiwillige Lösung beim Jugendschutz nur wenig weh und auch ein zusätzlicher Ad-Sense-artiger Eintrag für öffentlich-rechtliche Inhalte kann man zur Not ignorieren. Da aber schon klar ist, dass diese Gesetze keinen Effekt haben, ist zu befürchten, dass sie nur der Einstieg sind in immer weitergehende Regulierungen.
Im Vereinigten Königreich gibt es bereits „Pornofilter“, die von den Providern betrieben werden müssen. Deren Sperrlisten blockieren jede fünfte der 100.000 beliebtesten Internetseiten. Am Ende steht tatsächlich ein Internet, dass nichts mehr zu tun hat mit einem freien, offenen, globalen Internet und aussieht, wie RTL2 am Nachmittag – ohne dass damit irgendwelche gesellschaftlichen Probleme gelöst wären. Ut aliquid fiat.
Links
- Henning Tillmann: Wenn das Internet zur DVD wird – erneuter Fehlgriff beim Online-Jugendschutz
Schreibe einen Kommentar