Ein Verschwörungstheoretiker würde sagen, dass das die Strategie ist: Der Zirkus um die Überwachung in Deutschland wird immer bunter. Man muss sich nur einmal vor Augen führen, dass das Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats gegen die Redakteure von netzpolitik.org auf die Enthüllungen von Edward Snowden zurückgehen.
Edward Snowden hat Mitte 2013 offengelegt, wie umfangreich die Überwachung durch befreundete Staaten wie USA und das Vereinigte Königrreich sind und damit überhaupt erst ein breites Bewusstsein für dieses Problem geschaffen. Von Edward Snowden ist inzwischen keine Rede mehr. Stattdessen brauchen wir inzwischen fast einen zweiten Untersuchungsausschuss, um zu klären, wer eigentlich für das erste Verfahren gegen Journalisten wegen Landesverrats seit der SPIEGEL-Affäre 1962: Verfassungsschutz und Generalbundesanwalt streiten sich darum, wer es war. Der Verfassungsschutz will nur anzeige gegen „Unbekannt“ erstattet haben. Generalbundesanwalt sagt: Stimmt gar nicht.
Ja, klar, alles nur ein Missverständnis. pic.twitter.com/e7T7jEVElq #Landesverrat
— js (@jottes) 1. August 2015
Der Innenminister Thomas de Maizière (CDU) – zuständig für den Verfassungsschutz – will von der Anzeige nichts gewusst haben. Der Justizminister Heiko Maas (SPD) – zuständig für den Generalbundesanwalt – wusste davon seit Ende Mai und hat damals Bedenken angemeldet. Aber auch daran kann sich Generalbundesanwalt Harald Range offenbar nicht mehr erinnern. Wer sich aber einmal den entsprechenden Paragrafen zum Landesverrat anschaut, ahnt auch als Laie, dass er auf seriöse journalistische Werke niemals zutreffen kann:
Wer ein Staatsgeheimnis
1. einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt oder
2. sonst an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
Der ZDF-Redakteur Dominik Rzepka twitterte dann, es gebe Quellen, die bestätigten, dass sowohl Innenministerium als auch das Kanzleramt das Verfahren gedeckt hätten.
Jetzt sollen die Ermittlung „ruhen“. Was auch immer das bedeutet. Entweder es gibt ein Verfahren, oder es gibt kein Verfahren. Rechtsanwalt Markus Kompa spekuliert, es könne sich bei dem Verfahren um eine bewusste Eskalation. Landesverrat öffne die „elektronische Waffenkammer“ der Überwachung. Aus dem rechtlich undefinierten Zustand eines „ruhenden Verfahrens“ leiten sich, soweit ich das verstehe, keine rechtlichen Konsequenzen ab. Das Verfahren läuft und entsprechend kann die Redaktion von netzpolitik.org überwacht werden, was das Zeug hält.
Und worum ging es ursprünglich? Der Verfassungsschutz arbeitet seit einiger Zeit an der Massendatenauswertung von Internetinhalten von uns Bürgern. Möglich, dass der Verfassungsschutz das lieber geheim halten will – so etwas muss aber öffentlich diskutiert werden. Das war das Kernanliegen von Edward Snowden: Eine öffentliche Diskussion darüber, wie viel Überwachung wir wollen.
Das Schlimme ist, dass diese ganze Affäre inzwischen so verstrickt ist, dass niemand sie mehr versteht. Zu erwarten ist, dass sich nichts ändert und niemand Verantwortung übernimmt. Range war es nicht, Maaßen war es nicht. Maas hat gewarnt, de Maizière nichts gewusst und die Kanzlerin ist ohnehin unantastbar. Währenddessen wird die Überwachung fröhlich ausgebaut. Ich befürchte, an dieser Stelle ist der Rechtsstaat kaputt.
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