Google erfindet im Moment alles mögliche neu. Jetzt ist die Zeitung dran und ich frage mich, warum die Zeitungen das nicht vorher schon selbst gemacht haben. Google Living Stories zeigt im Überblick die fortgeführte Berichterstattung zu bestimmten Themen. Hier einige Ideen dazu.
Als es das Internet noch nicht gab, hat es Sinn ergeben, dass Regionalzeitungen Agenturmeldungen zu bestimmten Themen übernommen haben. Sie konnten sich nicht überall eigene Korrespondenten leisten und wollten trotzdem ihre Leser über die Vorgänge außerhalb des Verbreitungsgebietes informieren. Warum sollte ich heute DPA-Nachrichten in der Regionalzeitung lesen, wenn ich die auch direkt bei der DPA lesen könnte. Regionalzeitungen sollten sich im Netz diese Meldungen schenken und darauf keine Energie verschwenden.
Regionalzeitungen leben davon, dass sie über jedes Treffen von jedem Verein berichten, damit die Leute, die sich in der Zeitung sehen wollen, ihre Zeitung abonnieren. Mit Journalismus hat das wenig zu tun. Und über den Wettbewerb im Kaninchenzüchten, können die Kaninchenzüchter auf ihrer eigenen Website viel besser und ausführlicher berichten. Solange noch nicht alle so im Netz sind, ist das noch ein Terrain der Tageszeitung, aber es wird weniger relevant.
Kerngeschäft
Wenn man die große, weite Welt der Agenturmeldungen abzieht und das Kleinklein des Lokalkolorits, bleibt der Kern der Regionalzeitung übrig: Lokalpolitik. Hier benötigt man Erfahrung, Kenntnis der Akteure und tatsächlich auch echte journalistische Qualitäten, wenn man die komplexen Zusammenhänge aufdröseln und hinterfragen will. Hier sind die sonst gerne belächelten Regionalzeitungen auch tatsächlich die „vierte Macht“.
Warum hängen die Regionalzeitungen im Internet noch immer an ihrem Artikel-Paradigma, das doch nur dem Medium Zeitung geschuldet war: Es gibt einen bestimmten Platz zu vergeben und einen Redaktionsschluss: Alles was zu lang ist, oder bis Redaktionsschluss nicht passiert ist, wird nicht berücksichtigt.
Software
Das Internet hat keinen Redaktionsschluss – das bedeutet nicht nur, dass man Artikel veröffentlichen kann, wenn sie fertig sind statt zu einem bestimmten Termin. Das bedeutet auch, dass man Artikel fortführen kann.
Regionalzeitungen im Internet sollten es leicht machen, Geschichten zu verfolgen: „Was ist eigentlich aus dem Plan der Stadt geworden ein bestimmtes Haus abzureißen?“ Living Stories bietet das jetzt an: Ich kann mir Artikel zum Thema „Erderwärmung“ auf einer Zeitleiste anschauen. Und sehen, was China gemacht hat und was Obama dazu sagt und so weiter.
Man kann Artikel anders als nur in der Reihefolge ihres Erscheinens darstellen. Software macht es möglich – anders als Papier – Informationen beliebig anzuordnen. Informationen sind nur dann wertvoll, wenn man die richtigen, zur richtigen Zeit hat. „Zur richtigen Zeit“ kann bedeuten „möglichst schnell“, es kann aber auch wertvoll sein, sie später zu finden, wenn man sie tatsächlich benötigt.
Hintergrund-Informationen
Darüber hinaus verfügt die Redaktion einer Regionalzeitung über einen großen Wissensschatz an Hintergrundinformationen. „Welcher Stadtrat ist schon bekannt dafür Häuser abzureißen?“ Die Zeitungen sollten Datenbanken mit diesen Infos aufbauen und aus den Artikeln verlinken. Wenn der Name von Stadträtin Schmidt auftaucht, verlinkt das auf eine Seite mit Daten zum Lebenslauf und zu anderen Geschichten, in denen sie vorkommt.
Geschäftsmodell
Auf diesem Gebiet sind die Regionalzeitungen meistens alleine und es gibt niemanden, der all diese Infos bieten kann. Ich könnte mir vorstellen, dass man mit den normalen, so wie heute veröffentlichten Artikeln, ein kostenloses Grundangebot hat – um verlinkbar zu sein und gefunden zu werden.
Geld kostet dann quasi der Zugriff auf die Hintergrundinformationen, die Verlinkungen und die Aufbereitung in verschiedenen Formen, wie zum Beispiel der Zeitleiste. Das könnte man als Abo für bestimmte Themenbereiche oder als Flatrate für alle Themen anbieten.
Update [15. Dezember 2009]
Google’s Chefökonom Hal Varian sieht das laut FAZ-Interview offenbar ähnlich:
„Früher hatte eine Zeitung in ihrer Region eine Monopolstellung. Heute konkurrieren aber viele Medien miteinander. Wenn dass der Artikel im Wall Street Journal über den Iran dem Artikel in der New York Times oder der Washington Post sehr ähnlich ist, sinkt der Preis für die Nachricht wegen des Wettbewerbs auf seine Grenzkosten […]“
und weiter:
„Die Kosten für die Produktion dieser Standard-Nachrichten müssen gesenkt werden […] Die Differenzierung vom Wettbewerber muss dann in der Interpretation und Analyse der Nachrichten erfolgen“
Links
- Google Blog: Exploring a new, more dynamic way of reading news with Living Stories
- Basic Thinking: Googles nächster Streich: Mit ‘Living Story’ Online-News neu erleben
- Google: Living Stories
- FAZ: Google-Chefökonom Hal Varian „Damit können wir ein bisschen Geld verdienen“
Foto: chemartin | photocase.com
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