Bisher habe ich mich mit dem Thema noch nicht richtig befassen müssen. „Cyberwar“ hat bei mir nur vage Assoziationen ausgelöst. Irgendwas mit staatlichen Hackern und vielleicht als Beispiel die zerstörten Zentrifugen im Iran. Wikipedia hilft in diesem Fall nur bedingt. Also begebe ich mich auf die Suche nach dem Cyberwar. Ein Exkursionsbericht.
Auf der Sicherheitskonferenz in München in haben in diesem Jahr übereinstimmend Verteidigungministerin von der Leyen, Außenminister Steinmeier und Bundespräsident Gauck eine Änderung der deutschen Außenpolitik gefordert. Und weil sie nicht deutlich gesagt haben, was sie wollen, sind bei der SPD in Schleswig-Holstein die Alarmglocken angegangen: Das Thema Friedenspolitik wollte man nicht den Sicherheitspolitik überlassen. Der Landesvorstand hat einen Positionierungsvorschlag erarbeitet und lässt den jetzt diskutieren, bis der am Ende SPD-Position werden soll. Was wiederum einen Einfluss auf die Regierungspolitik hat – so die Hoffnung.
In diesem Text gibt es auch einen Absatz über den „Rüstungswettlauf im Cyberspace“:
„Dabei hat sich die alte Militärlogik neue technologische Sphären bemächtigt. Der Rüstungswettlauf im Cyberspace läuft auf vollen Touren. Drohnen sollen Kriege am Computer gewinnbar machen, ohne das das Leben der eigenen Soldaten gefährdet wird. Und was bisher massive militärische Angriffe erforderte, könnte künftig im Internet bewerkstelligt werden: Gelänge es etwa die Stromversorgung, die Wasserversorgung und andere strategische Infrastrukturen in hochentwickelten Industrieländern zu hacken und auszuschalten, würde dieser so angegriffene Staat in kürzester Zeit im Chaos versinken.“
Das las sich nicht komplett falsch, aber Drohnen und kaputte Zentrifugen sind nicht die gleiche Kategorie. Irgendwie ist das schräg. Und ich hätte da gerne einen Absatz stehen, der sich nicht schräg anfühlt. Zumal das Thema tatsächlich wichtig sein könnte.
Ich habe mich also auf die Recherche für eine bessere Formulierung gemacht und das Thema gestern mit auf den WebMontag genommen, wo wir – zugegeben in kleiner Runde – parallel zum Deutschlandspiel eine gute Diskussion über Cyberwar hatten.
Zunächst habe ich die Themen getrennt:
- Drohnen an sich, sind nichts anderes als Distanzwaffen. Egal ob Interkontinentalraketen oder Pfeil und Bogen – Waffentechnik hat immer versucht, die eigenen Leute zu schützen und die anderen die schädigen.
- Die Anwendung von Drohnen, wie es die USA zurzeit betreiben, kann man kritisieren: Sie tötet mit Drohnen ohne rechtliche Grundlage Menschen. Aber das ist nicht der Kern von Cyberwar.
- Und dann bleibt in dem Absatz der Teil, den ich als Cyberwar bezeichnen würde – explizit steht das Wort dort allerdings nicht.
Unter „Methoden des Cyberkriegs“ zählen die Leute bei Wikipedia einiges auf: „Spionage, Defacement, Social Engineering, Einschleusen von kompromittierter Hardware, Denial-of-Service-Attacken und Materielle Angriffe (Zerstören, Sabotage, Ausschalten) von Hardware (z. B. Kabel‑, Antennen- und Satellitenverbindungen).“ Da fällt schon beim ersten Lesen auf, dass da einige Dinge dabei sind, die merkwürdig erscheinen: Defacements sollen Cyberwar sein? Spionage? Sind wir dann im Cyberwar mit den USA?
Dr. Myriam Dunn Cavelty von der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik der ETH Zürich sagt deswegen auch, dass es Cyberwar nicht gibt:
„Niemand bestreitet, dass wir als Gesellschaften außerordentlich vernetzt und abhängig und deshalb, theoretisch, „verwundbar“ sind. Aber das Verunstalten von Webseiten ist kein Cyberwar. DDoS-Attacken, auch wenn Banken betroffen sind, sind kein Cyberwar. Das Ausspionieren von Regierungsgeheimnissen oder der Klau von Wirtschaftsgeheimnissen mithilfe von Computern ist kein Cyberwar. Elektronische Kriegsführung ist nicht Cyberwar. Das Verbreiten von halb wahrer oder nicht wahrer Information im Krieg ist kein Cyberwar. Nicht einmal die Sabotage einer Industrieanlage mithilfe von ausgeklügelter Malware ist Cyberwar.“
Der Politikwissenschaftler Dr. Ralf Bendrath sagte dagegen:
„Am weitesten entfernt von den bisherigen Vorstellungen von Krieg und Frieden sind die Ansätze des ‚Netwar’. Nach diesem Modell, in dem nicht mehr der Körper des Gegners das Ziel physischer Angriffe ist, sondern sein Willen durch eine Informationsdominanz direkt verändert werden soll, würde in der Konsequenz jede Form von ideologischer oder politischer Auseinandersetzung als Krieg gewertet werden.“
Also: Alles ist Cyberwar. Wenn man aber einen Begriff soweit dehnt, dass er alles und nichts bedeutet, ist er wertlos. Also fang ich eine Stufe tiefer an: Was ist Krieg?
Was ist Krieg?
„Krieg bezeichnet einen organisierten, mit Waffen gewaltsam ausgetragenen Konflikt zwischen Staaten bzw. zwischen sozialen Gruppen der Bevölkerung eines Staates (Bürger‑K.).“
Diese Definition der Bundeszentrale für politische Bildung hat mir eine Frage beantwortet und wirft zwei neue auf:
- Klar ist, dass Kriege zwischen Staaten stattfinden und Staaten sind mir hinreichend genug definiert.
- Was aber sind Waffen? Also: Was sind Cyberwaffen?
- Was ist Gewalt?
Was sind Waffen?
Ein Blick ins Waffengesetz zeigt: Waffen sind tragbare Gegenstände, „die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen zu beseitigen oder herabzusetzen ..“ oder Gegenstände, die dazu benutzt werden. Allerdings macht das Gesetz auch klar, dass es nur Waffen betrifft, die keine Kriegswaffen sind.
Die Leute bei Wikipedia sagen: „Per Definition sind Kriegswaffen alle Waffen, die in einem Krieg zum Einsatz kommen können.“ – Ein schönes Beispiel für eine Tautologie, die mich aber nicht weiter bringt.
Was ist Gewalt?
Aus meinem Studium erinnerte ich mich an die Unterscheidung von Macht und Gewalt bei Hannah Ahrendt. Das sagte aber mehr über Macht aus, als über Gewalt. Also für die schnelle Orientierung wieder die Leute von Wikipedia: „Unter den Begriff Gewalt .. fallen Handlungen, .. durch die auf Menschen .. beeinflussend, verändernd und/oder schädigend eingewirkt wird.“ Das ist ja auch schon wieder Alles und Nichts. Aber vielleicht halte ich mal das Zwischenergebnis fest:
„In einem Cyberwar werden Menschen auf digitale Art und Weise von Staaten beeinflusst, verändert und/oder geschädigt werden.“
Aus der Diskussion beim WebMontag habe ich mitgenommen, dass Krieg immer eine Propagandaseite hat und dass die eben heute per Internet betrieben wird. Das ist aber nicht das, vor was der Antrag warnt:
„Gelänge es etwa die Stromversorgung, die Wasserversorgung und andere strategische Infrastrukturen in hochentwickelten Industrieländern zu hacken und auszuschalten, würde dieser so angegriffene Staat in kürzester Zeit im Chaos versinken.“
Da geht es nicht nur um handfeste Schäden, sondern um den Untergang der Zivilisation in den betroffenen Staaten. Die Frage ist allerdings, ob das eine realistische Option ist. Wie viel Aufwand treiben wir heute, um nur die gemeinsame Währung zum Beispiel mit Griechenland aufrecht zu erhalten. Nicht auszumalen, was passieren würde, wenn man tatsächlich die gesamte Infrastruktur eines Landes lahmlegt. Innerhalb von Tagen müsste weltweit die Wirtschaft, wie wir sie kennen zusammenbrechen. So wurde gestern auch erwähnt, dass im Zweiten Weltkrieg zwar damit experimentiert wurde, gegnerische Währungen durch Falschgeld zu destabilisieren – das wurde aber nur sehr vorsichtig gemacht, weil keine Seite eine neue Weltwirtschaftskrise parallel zum Krieg riskieren wollte.
Am Ende sind wir zu einigen Schlüssen gekommen: Das neue an Cyberwar ist nicht die Technologie. Denn die Mittel, mit denen Gewalt ausgeübt wird, ist im Prinzip egal. Das Neue ist – und da schlossen wir dann doch wieder an das Thema „Drohnen“ an – Art und Weise: Kriege werden auch von staatlicher Seite immer mehr wie Terrorismus nach Guerilla-Taktik betrieben. Kriege werden nicht mehr erklärt. Kriege werden hinter Begriffen wie „Polizeieinsatz“, „Krieg gegen den internationalen Terrorismus“ oder „Entwaffnungsaktion“ versteckt. Unmarkierte Truppen marschieren in andere Länder ein, genau wie staatliche Hacker sich nicht zu erkennen geben. Niemand weiß so genau, wer die Zentrifugen im Iran zerstört hat.
Elemente des Kriegs breiten sich immer weiter aus. Und selbst die Ländern, die behaupten, die westlichen Werte, ihre Demokratie und Rechtsordnungen zu verteidigen halten sich nicht nur noch scheinbar an die eigenen Gesetze. Dazu gehört auch die globale Überwachung durch Geheimdienste. Das ist ein schleichendes Gift, das zurzeit weltweit injiziert wird und Vertrauen in unsere Werte zerstört und daran darf sich Deutschland nicht beteiligen.
Wir stehen aber in der Gefahr, in diesem Prozess in Kriege gezwungen zu werden, die auch Gauck und von der Leyen nicht wollten. Gerhard Schröder hat damals „Nein“ zum Irak-Krieg gesagt und stand dabei unter einem gewaltigen außenpolitischen Druck. Man erinnere sich nur an die inneramerikanische Propaganda, die dazu aufforderte „French Fries“ in „Freedom Fries“ umzunennen, weil sich Frankreich gemeinsam mit Deutschland und Russland gegen die Vereinnahmung als „Achse der Willigen“ zu widersetzen. Frau Merkel hat sich damals an die Seite von Präsident Bush gestellt und diese Entscheidung nie öffentlich bedauert.
Insofern hat das SPD-Positionspapier recht: Deutschland muss Motor der Friedenspolitik sein, Kriegsgründe beseitigen und auf eine Stärkung internationaler Institutionen wie EU und UN hinwirken. Wir müssen wieder von einem Recht des Stärkeren zu einer Stärke des Rechts kommen.
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